Gripir hieß ein Sohn Eilimis, der Hiördis Bruder. Er beherschte die Lande und war aller Männer weisester; auch wust er die Zukunft. Sigurd ritt allein und kam zur Halle Gripirs. Sigurd war leicht erkennbar. Vor dem Thor der Halle kam er mit einem Mann ins Gespräch, der sich Geitir nannte. Da verlangte Sigurd von ihm Bescheid und sprach:
Wie heißt, der hier die Halle bewohnt?
Wie nennen die Leute den König des Landes?
Geitir sprach:
Gripir heißt der Herscher der Männer,
Der des festen Lands und der Leute waltet.
Sigurd.
Ist der hehre Fürst daheim im Land?
Kann der König mit mir zu reden kommen?
Der Unterredung bedarf ein Unbekannter:
Bald begehr ich Gripirn zu finden.
Geitir.
Der gute König wird Geitirn fragen
Wie der Mann genannt sei, der nach ihm fragt.
Sigurd.
Sigurd heiß ich, Sigmunds Erzeugter;
Hiördis heißt des Helden Mutter. —
Da ging Geitir Gripirn zu sagen:
„Ein Unbekannter ist angekommen;
Von Antlitz edel ist er zu schauen,
Der gern zusammen käme, König, mit dir.“
Aus dem Gemach ging der mächtige Fürst
Und grüßte freundlich den fremden König:
„Nimm vorlieb hier, Sigurd; was kamst du nicht längst?
Du geh, Geitir, nimm den Grani ihm ab.“
Sie begannen zu sprechen, und sagten sich Manches,
Da die rathklugen Recken sich fanden.
„Melde mir, magst dus, Mutterbruder,
Wie wird dem Sigurd das Leben sich wenden?“
Gripir.
Du wirst der mächtigste Mann auf Erden,
Der edelste aller Fürsten geachtet.
Im Schenken schnell und säumig zur Flucht,
Ein Wunder dem Anblick und weiser Rede.
Sigurd.
Laß, Fürst, erfahren genauer als ich frage,
Weiser, den Sigurd, wähnst dus zu schauen:
Was wird mir Gutes begegnen zuerst,
Wenn ich hinging von deinem Hofe?
Gripir.
Zuvörderst erfichst du dem Vater Rache
Und dem Eilimi Ahndung alles Leides.
Du wirst die harten Hundings Söhne,
Die schnellen, fällen und den Sieg gewinnen.
Sigurd.
Sag, edler König, mir Anverwandter,
Gieb volle Kunde, da wir freundlich reden.
Siehst du Sigurds Siege voraus,
Die zuhöchst sich heben unter des Himmels Rändern?
Gripir.
Du fällst allein den gefräßigen Wurm,
Der glänzend liegt auf Gnitahaide.
Beiden Brüdern bringst du den Tod,
Regin und Fafnirn: vor siehts Gripir.
Sigurd.
Schätze gewinn ich, wenn so mir gelingt
Zu kämpfen mit Männern wie du mir kund thust.
Im Geist erforsche ferner und sage mir,
Wie lenkt mein Lebens- lauf sich hernach?
Gripir.
Finden wirst du Fafnirs Lager,
Wirst heimführen den glänzenden Hort,
Mit Golde beladen Granis Rücken
Und zu Giuki reiten, kampfrüstiger Held.
Sigurd.
Noch sollst du dem Fürsten in freundlicher Rede,
Weitschauender König, Weiteres künden.
Gast war ich Giukis, nun geh ich von dannen:
Wie lenkt meines Lebens- lauf sich hernach?
Gripir.
Auf dem Felsen schläft die Fürstentochter
Hehr im Harnisch nach Helgis Tode:
Mit scharfem Schwerte wirst du schneiden,
Die Brünne trennen mit Fafnirs Tödter.
Sigurd.
Die Brünne brach, nun redet die Braut,
Die schöne, so vom Schlaf erweckt.
Was soll mit Sigurd die Sinnige reden,
Das zum Heile mir Helden werde?
Gripir.
Sie wird dich Reichen Runen lehren,
Alle, die Menschen wißen möchten,
Dazu in allen Zungen reden,
Und heilende Salben: so Heil dir, König!
Sigurd.
Nun laß es gelungen sein, gelernt die Stäbe,
Von dannen zu reiten bin ich bereit;
Im Geist erforsche ferner und sage mir,
Wie lenkt mein Lebens- lauf sich hernach?
Gripir.
Du wirst zu Heimirs Behausung kommen,
Wirst dem Volksfürsten ein froher Gast sein.
Zu End ist, Sigurd, was ich voraus sah:
Nicht fürder sollst du Gripirn fragen.
Sigurd.
Nun schafft mir Sorge das Wort, das du sagtest,
Denn Ferneres siehst du, Fürst, voraus.
Weist du unsägliches Unheil dem Sigurd,
Darum du, Gripir, nicht gerne redest?
Gripir.
Mir lag der Lenz deines Lebens
Hell vor Augen anzuschauen.
Nicht mit Recht bin ich rathklug genannt,
Noch vorwißend: was ich wuste, sprach ich.
Sigurd.
Auf Erden ahn ich den Andern nicht,
Der so Vieles, Gripir, vorschaut als du.
Nicht sollst du mir bergen was Böses ist,
Wär es auch Meinthat, in meinem Geschick.
Gripir.
Nicht Laster liegen in deinem Looße,
Halt das, herlicher Held, im Gedächtniss.
Dieweil die Welt steht wird erhaben,
Schlachtgebieter, bleiben dein Name.
Sigurd.
Trennen, seh ich, muß sich nun trauernd
Von dem Seher Sigurd, da es so sich fügt.
Weise den Weg (gewiss ist doch Alles)
Mir, Mutterbruder, vermagst du es doch.
Gripir.
Nun will ich Sigurden Alles sagen,
Da mich drängt der Degen dazu.
Wiße gewiss, die Wahrheit ist es:
Dir ist ein Tag zum Tode bestimmt.
Sigurd.
Nicht reizen will ich dich, reicher König,
Deinen guten Rath nur, Gripir, erlangen.
Wißen will ich und sei es auch widrig,
Welch Schicksal weist du Sigurds warten?
Gripir.
Eine Maid ist bei Heimir, herlich von Antlitz,
Mit Namen ist sie Brynhild genannt,
Die Tochter Budlis; aber der theure
Heimir erzieht die hartgesinnte.
Sigurd.
Was mag mir schaden, ob schön die Maid
Von Antlitz sei, die Heimir aufzieht?
Das sollst du mir, Gripir, von Grunde melden,
Denn alles Schicksal schaust du voraus.
Gripir.
Schier alle Freude führt dir dahin
Die schöne von Antlitz, die Heimir aufzieht.
Schlaf wirst du nicht schlafen, nicht schlichten und richten,
Die Männer meiden, du sähst denn die Maid.
Sigurd.
Was lindert das leidige Looß dem Sigurd?
Sage mir, Gripir, siehst dus voraus.
Mag ich die Maid um Mahlschatz kaufen,
Des Volksgebieters blühende Tochter?
Gripir.
Ihr werdet euch alle Eide leisten,
Hoch und heilig, doch wenige halten.
Warst du Giukis Gast eine Nacht,
So hat Heimirs Maid dein Herz vergeßen.
Sigurd.
Wie so denn, Gripir? Sage mir an.
Weist du Wankelmuth in meinem Wesen?
Werd ich mein Wort nicht bewähren der Maid?
Ich schien sie zu lieben aus lauterm Herzen.
Gripir.
Das wirst du Fürst, durch fremde Tücke;
Der Räthe Grimhilds wirst du entgelten:
Die weißgeschleierte wird sie dir bieten,
Die eigene Tochter: so betriegt sie dich, König!
Sigurd.
Schließ ich Verschwägerung mit Giukis Geschlecht
Und gehe den Bund mit Gudrun ein,
Wohl gefreit hätte der Fürst,
Müst ich mich nicht um Meineid ängstigen.
Gripir.
Grimhild wird dich gänzlich bethören:
Sie bringt dich dazu, um Brynhild zu werben
Zu Handen Gunnars, des Gotenkönigs.
Zu früh gelobst du die Fahrt des Fürsten Mutter.
Sigurd.
Meinthaten geschehen, das merk ich wohl:
Übel wankt Sigurds Wille,
Wenn ich werben muß um die wonnige Maid
Einem Andern zu Handen, der ich hold bin selber.
Gripir.
Ihr werdet euch alle Eide leisten,
Gunnar und Högni, und du, Held, der dritte.
Unterwegs wechselt ihr Wuchs und Gestalt,
Du und Gunnar: Gripir lügt nicht!
Sigurd.
Warum thun wir das? Warum tauschen
Wir unterwegs Wuchs und Gestalt?
Schon fürcht ich, es folge noch andre Falschheit,
Gar grimme: sprich, Gripir, weiter.
Gripir.
Du hast nun Gunnars Gang und Gestalt;
Hast eigne Rede und edeln Sinn.
So verlobst du dich dem erlauchten
Hutkind Heimirs: das verhütet Niemand!
Sigurd.
Das Schlimmste scheint mir, Sigurd gilt dann
Dem Volk für falsch, fügt es sich so.
Ungern möcht ich mit Arglist trügen
Die Heldentochter, die ich die hehrste weiß.
Gripir.
Liegen wirst du, Lenker des Heers,
Keusch bei der Maid wie bei der Mutter.
Drum wird erhaben so lange die Welt steht,
Volksgebieter, dein Name bleiben.
Zumal werden beide Bräute vermählt,
Sigurds und Gunnars, in Giukis Sälen.
Wieder wechseltet ihr Wuchs und Gestalt
Daheim, nicht das Herz: das behielt Jedweder.
Sigurd.
Wird gute Gattin Gunnar erwerben,
Der herliche Held? verhehl es nicht, Gripir,
Wenn des Degens Braut bei mir drei Nächte,
Die hochherzge, lag? Unerhört ist Solches.
Wie mag zur Freude noch frommen darnach
Der Männer Verwandtschaft? Melde mir, Gripir.
Wird Glück dem Gunnar darnach noch gönnen
Solche Sippe, oder selber mir?
Gripir.
Dir gedenkt der Eide, must dennoch schweigen.
Zwar Gudrunen liebst du in guter Ehe;
Doch bös verbunden dünkt Brynhild sich,
Die Schlaue sinnt sich Rache zu schaffen.
Sigurd.
Was wird zur Buße der Brynhild genügen,
Da wir mit Tücke betrogen die Frau?
Eide geschworen hab ich der Edeln
Und nicht gehalten; auch hat sie nicht Frieden.
Gripir.
Die Grimme geht dem Gunnar sagen,
Ihm habest du übel die Eide gehalten,
Da dir der Herscher von ganzem Herzen doch,
Giukis Erbe, Vertrauen gönnte.
Sigurd.
Wie ergeht das, Gripir? Gieb mir Bescheid.
Werd ich schuldig sein in dieser Sache,
Oder verlügt mich das löbliche Weib,
Und sich auch selber? Sage mir, Gripir.
Gripir.
Aus Herzensharm wird die hehre Frau
Und aus Überschmerz euch Unheil fügen.
Du gabst der Guten nicht Grund dazu
Obwohl ihr die Königin mit Listen kränktet.
Sigurd.
Wird ihrem Reizen der rathkluge Gunnar,
Guthorm und Högni, dann Folge geben?
Werden Giukis Söhne in mir Gesipptem
Die Schwerter röthen? Rede, Gripir.
Gripir.
Der Gudrun vergeht vor Grimm das Herz,
Wenn Dir ihre Brüder Verderben rathen.
Ledig lebt aller Lust
Das weise Weib: das wirkte Grimhild.
Dir bleibt der Trost, Gebieter der Heerschar,
Die Fügung fiel auf des Fürsten Leben:
So edeln Mann wird die Erde nicht mehr
Noch die Sonne schauen, Sigurd, als dich.
Sigurd.
Heil uns beim Scheiden! Das Geschick bezwingt man nicht.
Mir ward der Wunsch hier, Gripir, gewährt.
Du hättest gerne mehr Glück verheißen
Meinem Lebenslauf, lag es an dir.