Thors Fahrt nach Geirrödsgard

Es verdient gar sehr erzählt zu werden, wie Thor nach Geirrödsgard fuhr, denn da hatte er weder den Hammer Miölnir, noch den Stärkegürtel, noch die Eisenhandschuhe bei sich, woran Loki Schuld war, der ihn begleitete. Denn dem Loki war es einsmals begegnet, da er zu seiner Kurzweil mit Friggs Falkenhemde ausflog, daß er aus Neugierde nach Geirrödsgard flog, wo er eine große Halle sah. Da ließ er sich nieder und sah ins Fenster. Aber Geirröd erblickte ihn und befahl den Vogel zu greifen und ihm zu bringen. Der Ausgesandte gelangte mit Noth die Hallenwand hinan, so hoch war sie. Loki ergetzte sich daran, wie Jener ihm so mühsam nachstrebte und gedachte, es sei noch früh genug für ihn, aufzufliegen, wenn der Mann das Beschwerlichste überstanden habe. Als dieser nun nach ihm langte, da schlug er die Flügel und spreizte die Füße; aber diese hingen fest. Da ward Loki ergriffen und dem Riesen Geirröd gebracht. Als der ihm in die Augen sah, da ahnte ihm, daß es ein Mann sein möge und gebot ihm Rede zu stehen; aber Loki schwieg. Da schloß ihn Geirröd in eine Kiste und ließ ihn da drei Monate hungern. Und als ihn Geirröd herausnahm und reden hieß, gestand Loki wer er sei und löste sein Leben damit, daß er dem Geirröd schwur, den Thor nach Geirrödsgard zu bringen ohne daß er den Hammer und den Stärkegürtel hätte.

Unterwegs nahm Thor Herberge bei einem Riesenweibe, das Gridr hieß. Sie war die Mutter Widars, des schweigsamen. Sie sagte dem Thor die Wahrheit von Geirröd, er sei ein hundweiser und übel umgänglicher Jötun. Auch lieh sie ihm ihre eigenen Stärkegürtel und Eisenhandschuhe und ihren Stab, Gridarwölr genannt. Da fuhr Thor zu dem Fluße, der Wimur hieß, aller Flüße gröstem. Da umspannte er sich mit den Stärkegürteln, und stemmte Grids Stab gegen die Strömung; Loki aber hielt sich unten am Gurte. Als nun Thor mitten in den Fluß kam, da wuchs dieser so stark an, daß er ihm bis an die Schulter stieg. Da sprach Thor:

Wachse nicht, Wimur, nun ich waten muß
Hin zu des Joten Hause.
Wiße, wenn du wächsest, wächst mir die Asenkraft
Ebenhoch dem Himmel.

Da sah Thor in eine Bergkluft hinauf, daß da Gialp, Geirröds Tochter, quer über dem Strome stand und dessen Wachsen verursachte. Da nahm Thor einen großen Stein aus dem Fluß auf und warf nach ihr, indem er sprach: Bei der Quelle muß man den Strom stauen. Sein Wurf pflegte sein Ziel nicht zu verfehlen. In demselben Augenblicke nahte er sich dem Lande, ergriff einen Sperberbaumstrauch und stieg aus dem Fluße: daher das Sprichwort, der Sperberbaum sei Thors Rettung.

Als nun Thor zu Geirröd kam, wurden die Reisegefährten zuerst in das Gästehaus gewiesen. Da war nur Ein Stuhl zum Sitzen, auf den setzte sich Thor. Nun ward er gewahr, daß der Stuhl unter ihm sich gegen die Decke hob. Da stieß er mit Grids Stabe gegen das Sparrwerk und drückte sich auf den Stuhl hinab. Alsbald entstand großes Gekrach und folgte lautes Geschrei. Unter dem Stuhle waren Geirröds Töchter Gialp und Greip gewesen und hatte er beiden den Rücken zerbrochen. Da sprach Thor:

Einsmals übt ich die Asenstärke
In des Joten Hause,
Da Gialp und Greip, Geirröds Töchter,
Mich zum Himmel hoben.

Da ließ Geirröd den Thor in die Halle zu den Spielen rufen. Da waren große Feuer der ganzen Länge der Halle nach. Und als Thor in der Halle dem Geirröd gegenüber stand, da faßte Geirröd mit der Zange einen glühenden Eisenkeil und warf ihn nach Thor. Aber Thor fing ihn mit den Eisenhandschuhen in der Luft auf. Geirröd sprang hinter eine Eisensäule sich zu wahren. Aber Thor warf den Keil, daß er durch die Säule fuhr, durch Geirröd, durch die Wand und draußen noch in die Erde.